Folks-knitting - Work in Progress (2020-2022)
FOLKS-KNITTING ist eine Sammlung von kurzen choreographischen Serien in verschiedenen Formaten. Das Projekt ist ein Work in Progress Research in Konzeption in Kooperation mit einer Anzahl internationaler Künstler*innen u.a. aus Finnland, Island, Iran, Ukraine und Senegal.
Die Praxis und Kultur des Tradierens und das Weitergeben von Volkstänzen erfolgte bekanntlich lange Zeit mündlich/performativ und erst vergleichsweise spät, nämlich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert im Zuge der Industrialisierung, über schriftliche Aufzeichnungen. Die so entstandenen Volkslied- und Volkstanzsammlungen markieren einen Bruch in der Traditionslinie des Volkstanzes: Tänze wurden nun nicht mehr oder kaum noch performativ weitergegeben, sondern mit dem Buch in der Hand gelernt. Doch die mündliche Weitergabe beinhaltet, dass das Tradierte sich mit denen, die es tradieren, der Dynamik von innen, und durch den äußeren sich wandelnden Kontext, der Dynamik von außen weiterentwickelt. Da, wo man auf die Pflege und historisch korrekte Konservierung der notierten Tänze Wert legte, war eine Erstarrung des Repertoires die Folge; andernorts, wo man Neuschöpfungen auf der Grundlage des notierten Kanons wagte, entwickelte sich das Tradierte weiter. Die schriftliche Tradition des Volkstanzerbes war dabei nicht nur eine Festschreibung einer an sich dynamischen Kulturpraktik, sondern bot auch eine Einschreibfläche für ideologische Kodierungen und politische Instrumentalisierung. Was ist überhaupt ein Volkstanz? Was ist das Original, was eine Rekonstruktion? Kann man überhaupt in diesen Kategorien denken?
Basierend auf den meist geklickten YouTube-Videos greift Das Projekt "Folks-knitting" die Praxis und Kultur des Tradierens, des Weitergebens von Volkstänzen im digitalen Zeitalter und kulturellen Kontext des 21. Jahrhunderts wieder auf. Das Projekt greift den Diskurs der Zuschreibung und Definitionen von kultureller Konstruktion künstlerisch im Kontext des 21. Jahrhunderts auf, de-und rekonstruiert ihn und fragt: Was heißt Tradieren? Wie weit kann es gedacht werden und in welchem Kontext macht es Sinn die Praxis des Tradierens und der Weitergabe von Volkstänzen heute wieder aufzugreifen? Was wollen wir damit erzählen? Und welchen Beitrag können wir im Diskurs zur Transition von isolierten Völkern zu einer globalen multikulturellen Wirklichkeit leisten? Volkstanz hat immer in einem sozialen Kontext stattgefunden. Es wurde als Kulturpraxis oder aber auch als soziale, performative Produktion gesehen. Was ist dieser Kontext heute?
Auf einer digital/ realen Reise wird das kulturelle (Tanz)erbe verschiedener Länder gegenübergestellt, de- & re-collagiert und projiziert dabei das Potential des (Tanz-)Erbes in die Zukunft. Wie sieht es aus, wenn ich die schriftliche Notation von Volkstänzen verschiedener Länder vermische, sie meiner Kollegin vorlese und sie diese nachtanzt? Wie sieht es aus, wenn ich die Geschichte eines Volkstanzes zur Originalmusik mit meinem emotionalen Gefühlsrepertoire, das mir in meiner Modern Dance Klasse ans Herz gelegt wurde, nachtanze? Was passiert, wenn ich ein Volkstanz YouTube- Video nehme und dazu Techno Musik abspiele?