How to Tracht / вбрання
Von Véronique Langlott & Elis
This exhibition takes a multidisciplinary visual and performative approach to exploring the intersection of Ukrainian and German traditional clothing, tracing their evolution through generations. Once vital markers of identity, status, and belonging, these garments embodied craftsmanship and cultural memory. Over time, their roles shifted—some elements were forgotten, while others were modified to reflect changing social and political landscapes. Today, these traditions find new meanings, balancing preservation and reinvention. While Ukrainian and German traditional clothing evolved under different historical and environmental conditions, their shared reliance on craftsmanship, symbolism, and cultural storytelling creates fascinating parallels. These similarities highlight the universality of using clothing as a medium for identity and belonging. In a practice of preserving knowledge, as well as a speculative practice for the future. The two artists Véronique Langlott and Elis take up the threads of the past to connect and link them into something new. Through this lens, the exhibition conceptually examines how heritage continues to shape modern identities and artistic expression. Within the frame of this exhibition I developed my work String Fiction with further details below.
MOM art space Hamburg
10.-12.01. 2025
Dock 11 Berlin
24.01.-26.01. 2025
Gefördert von:
Arts Connect Hamburgische Kulturstiftung
BKM Hamburg Recherchestipendium
String Fiction
String Fiction basiert auf meinem Rechercheprojekt TRACHTENREISE – About Strings, Knots & Possible Futures. Das Rechercheprojekt bestand aus einer Untersuchung der Funktion und Tradition regionaler Trachten sowie einer Recherchereise, die quer durch Deutschland führte: von der Insel Föhr über das Alte Land, in den Spreewald, die Schwalm bis in den Schwarzwald – auf der Suche nach Frauen, die noch das Handwerk der Trachtenherstellung pflegen. Anhand von acht ausgewählten Trachten tauchte ich in die Tiefen regionaler Trachtkulturen ein. Dabei ging es nicht um Dirndl und Lederhosen! Denn Deutschland ist viel mehr als das. Das Bild von Lederhose und Dirndl ist ein kulturelles Erbe der Nazipropaganda, welche die bayerische Kleiderordnung zur pan-deutschen Identität machte und damit zu dem, was noch heute ein Großteil der Welt mit Deutschland assoziiert. Mir ging es vielmehr um Trachten, die selbst uns, den Bürger:innen der Bundesrepublik Deutschland, oft nicht bekannt sind.
Auf meiner Reise kam ich in einen Austausch mit Menschen, die diese Kultur heute neu am Leben erhalten. Dabei führte ich zahlreiche Gespräche mit Frauen, die das Handwerk in ihren Händen tragen – zum Handwerk, zur Kultur, zu politischen Ideologien sowie zu sozialen Kontexten von gestern und heute. Diesen Gedankenaustausch habe ich in Form eines Gedichts zusammengefügt, das über kleine Lautsprecher, die im Raum verteilt sind, zu hören ist. Im Verlauf meiner Reise eignete ich mir alte Handwerkspraktiken wie das Weben, Sticken und Stricken an, ebenso wie einzigartige, ortsspezifische Techniken. Dabei interessierte mich einerseits, wie es sich anfühlt, sich in einer so schnelllebigen Welt wie der unseren die Zeit zu nehmen, Stunde um Stunde mit einem Faden zu arbeiten, und zu spüren, wie Kleidung an Wert gewinnt, je länger man sie in den Händen hält und an ihr arbeitet. Andererseits interessierte mich, wie dieses althergebrachte Wissen vielleicht ins Heute übertragen werden.
What the f*ck ist aber überhaupt eine Tracht?
Der Begriff „Tracht" leitet sich vom althochdeutschen Wort „draht(a)" – „das, was getragen wird" – ab und bezeichnet die Gesamtheit dessen, was aus modischen oder funktionalen Gründen am Körper getragen wird. Dazu gehören Kleidung, Schmuck, Frisur, Make-up, Accessoires und Insignien. Die Tracht funktioniert wie ein Porträt: Ihre symbolischen Merkmale lassen Rückschlüsse auf Status, sozialen Stand und Herkunft zu. Am Leib getragen, kommuniziert sie Abgrenzung und Zugehörigkeit. Sie präsentiert den Körper und spielt mit Selbstdarstellung, Symbolik und der Definition von Identitäten.
Die Tracht findet ihren Ursprung in ländlichen Gebieten. Sie ist das Ergebnis langwieriger gesellschaftlicher Einflüsse und der jeweils verfügbaren Materialien. Ob Bollenhut oder Spreewaldhaube – fast jede Region entwickelte eine eigene, unverwechselbare Tracht. Diese Kleidungsstücke sind stets ein Blickfang. Heute wird die Tracht meist nur noch bei größeren Festivitäten getragen. Dennoch gehört sie in einigen Regionen weiterhin zur gelebten Praxis. In einer globalisierten Gesellschaft, in der der Bezug zur Heimat wieder an Bedeutung gewinnt, erlebt die Tracht ein bemerkenswertes Comeback.
Gerade deshalb ist es wichtig, dem kulturellen Erbe der Tracht mit Differenzierung zu begegnen. Sie repräsentiert nicht nur eine lange künstlerisch-handwerkliche Tradition, sondern birgt auch eine Geschichte mit politischen Implikationen. Im Laufe der Zeit wurde die Tracht immer wieder ideologisch instrumentalisiert.
So ist zum einen sicherlich die Tracht auch eine romantische Vorstellung von einer Idylle und einem vermeintlich einfachen Leben, das im Zuge der Industrialisierung verloren ging. Dieses Bild wurde im 20. Jahrhundert durch Maler und Fotografen gezielt inszeniert. Das Resultat war eine Vorstellung von Tracht, die letztlich vor allem eine Projektion des städtischen Bürgertums darstellt. Die Tracht vermittelt Tradition, Liebe und Heimat. Sie vermittelt ein Gefühl von Zugehörigkeit und Gemeinschaft und schafft eine Verbindung zu anderen, die sich auf dieselbe Weise kleiden. Dabei wurde die Tracht zur Popularisierung nationaler Volkstracht-Ideen missbraucht, die im 18. Jahrhundert, im Zuge der Entwicklung von Nationalstaaten zur Erbauung und Selbstvergewisserung des eigenen Volkes dienen sollte.
Heute ist die Tracht zu einem Exotikum geworden. In einer bestimmten Form konserviert und eingefroren in einer spezifischen Zeit, wurde sie zu einem Abbild einer vermeintlich verlorenen Heimat. Die als authentisch bezeichneten Trachten gelten als bedrohtes Kulturgut, das es zu bewahren gilt. Dabei war die Tracht – ähnlich wie heutige Modetrends – stets dem Einfluss ihrer Zeit, den verfügbaren Materialien sowie Handel und kulturellem Austausch unterworfen und entwickelte sich fortlaufend weiter. Sie war vielmehr ein gelebter Brauch ihrer Zeit, der von einer Generation an die nächste weitergegeben wurde.
Das heutige Bild der Tracht entspricht daher möglicherweise nicht zu 100 % der historischen Realität. Vielmehr ist es eine Momentaufnahme einer längst vergangenen Welt und vermittelt einen Eindruck davon, wie die Dinge einst gewesen sein könnten.
String Fiction I-IV
String Fiction I-IV greift das traditionelle Handwerk auf und interpretiert es neu. Es geht um eine Praxis des Wissenserhalts ebenso wie um eine spekulative Praxis für die Zukunft. Alte Herstellungstechniken der Tracht werden künstlerisch interpretiert und mit Materialien unserer Zeit in einem Prozess des Upcyclings von Plastikmüll, Elektroschrott und wiederverwerteten Konsumgütern aufgegriffen, verwebt, bestickt und in Kombination mit Fast-Fashion-Artikeln sowie Modetrends unserer Zeit verbunden. Dabei greife ich alte Stick- und Strickmuster, Drucktechniken, Schnittmuster sowie die Konzeption der alten Trachten auf.
Das Stricken und Weben – das Zeichnen mit Fäden – sind immer auch Sinnfäden, die sich mit einem größeren Geflecht von Bedeutungen verknüpfen. Sie verbinden sich als soziale Praxis im Moment des Zusammensitzens, gemeinsamen Webens, Stickens und Schaffens. Sie verbinden sich jedoch auch zu performativen Identitäten, die durch Kleidung in die Gesellschaft getragen werden.
In diesem Rechercheprojekt werden die Fäden von gestern aus verschiedenen Regionen wieder aufgenommen. Im Fokus steht das Tradieren von Handarbeitspraktiken als spekulative Fabel für die Zukunft. Dabei ließ ich mich von folgendem Zitat von Donna Haraway inspirieren: „Im Spiel mit Fäden geht es um das Weitergeben und In-Empfang-Nehmen von Mustern, das Fäden-Aufnehmen und -Fallenlassen, aber manchmal auch darum, etwas zu finden, das noch nicht da war: ein Weitergeben von Verbindungen, die zählen; ein Geschichtenerzählen, das von Hand zu Hand geht…“.
In meinem Kreationsprozess greife ich die der Tracht inhärente Charakteristik der Aneignung verschiedener kultureller Einflüsse, modischen Trends und Materialien ihrer Zeit auf. Denn anders als ihr Klischee ist die Tracht selbst ein Konglomerat ihrer Zeit – aus verschiedenen kulturellen Einflüssen und Praktiken sowie das Resultat von Handelswegen und den verfügbaren Materialien ihrer Zeit.
So wurde z. B. der traditionelle Blaudruck im 17. Jahrhundert aus Asien nach Europa gebracht. Die traditionelle, handgestickte Schürze der Föhrer Tracht stammt aus Madeira, ebenso wie ihr Brustschmuck, der heute online über das Internet bestellt wird und damals per Segelschiff aus Portugal importiert wurde. Die traditionelle Knopfbindekunst der Schwälmer Tracht wurde von den Hugenotten in die Schwalm gebracht. Die Bernsteine, die traditionell zu dieser Tracht gehören, kamen über Handelswege in die Schwalm. Betrachtet man, dass in unserer Region nur Leinen und Wolle hergestellt wurden, wird schnell klar, dass alles, was aus Baumwolle oder Seide zur regionalen, traditionellen Tracht gehört, ebenfalls importiert worden sein muss. So entpuppt sich die Tracht als ein Werk weitergegebener Praktiken, Zitate und kulturellen Erbes, das zu einem bestimmten Zeitpunkt zur regionalen Tracht „zusammengestickt“ wurde.
Beim Aufgreifen der alten Praktiken interessiert mich das „schöpferisch-innovative Potenzial von Prozessen der Aneignung als Wiederholung mit Differenz“, wie es Roman Marek beschreibt, indem die Zirkulation der Handwerkskunst nicht als bloße Weitergabe zu verstehen ist, die sich in einem Hin und Her erschöpft, sondern vielmehr als Prozess der Anreicherung, Neukombination, Auswahl und Modifikation eines sich im Umlauf befindlichen Materials.
Im Mittelpunkt steht für mich dabei die künstlerisch-politische Frage, wie das traditionelle Handwerk im Kontext unserer Zeit in der Verknüpfung von Altem und Neuem im sozialen Sinne „weitergewebt“ werden kann. Im Fokus steht dabei die Überlegung, wie wir unsere Körper im Kontext der Produktion von Fast Fashion und der ökologischen Ressourcenausbeutung auf politische Art und Weise als revolutionäres Potenzial begreifen können. Wie können wir Kleidung bewusst als Statement und gesellschaftspolitische Performance einsetzen? Damit eröffnet sich für mich nicht nur ein künstlerischer, sondern auch ein politischer Raum.
Die entstandenen Werke sind ein Produkt meiner Fantasie. Mit der Inszenierung der Kostüme auf den Fotos greife ich – in Bezug auf den Heimat- und Landschaftsbezug, der den Trachten inhärent ist – mein persönliches Habitat, meine Heimat 2025, auf. Dabei zeigen die Bilder die Räume, in denen ich mich in meinem Alltag bewege.
In Kooperation und Austausch mit: Piotr Mazur, Marc Carrera, Linda Spörl, Johanna Budzier, Lo Höckner, Elis, Ana Szopa, Franziska Schillig, Christine Ebeling, Fadeninsel Berlin und den Trachtenfrauen aus Nord, Ost-, West- und Süddeutschland.
Mit Dank an: Simone Gisela Weber, Nora Hillen, Sophie Domez, Katharina Duve und Franziska Holz.
Gefördert von:
Der Rechercheförderung der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg.
ART CONNECTS – Hilfsfonds für Projekte mit schutzsuchenden Kulturschaffenden. ART CONNECTS wurde initiiert von der Rudolf Augstein Stiftung, der Claussen-Simon-Stiftung, der ZEIT STIFTUNG BUCERIUS sowie der Hamburgischen Kulturstiftung und wird von vielen weiteren Stiftungen, Unternehmen und Privatpersonen unterstützt.
Mit freundlicher Unterstützung von DOCKdigital.